Europäische Mehrwertsteuer- reform: Änderungen für international agierende Unternehmen
Ab 1.1.2020 treten die sogenannten Quick Fixes zur Mehrwertsteuer in Kraft. Bis zur Einführung des endgültigen Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union (EU) soll dadurch insbesondere der innergemeinschaftliche Warenhandel vereinfacht und weiter harmonisiert werden. Die Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht muss bis zum Jahresende 2019 erfolgen. Das Bundesfinanzministerium hat nun einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ vorgelegt, in dem die Neuregelungen enthalten sind.
Innergemeinschaftliche Lieferungen
Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen erfolgt eine grenzüberschreitende Lieferung innerhalb der Europäischen Union. Diese Lieferung ist grundsätzlich umsatzsteuerfrei, wenn gewisse Nachweise erbracht werden. Das spiegelbildliche Zusammenspiel von steuerbefreiter Lieferung und steuerpflichtigem innergemeinschaftlichen Erwerb stellt eine wesentliche Grundlage des derzeitigen Mehrwertsteuersystems dar.
Bisher hatte die Angabe der ausländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des Abnehmers „nur“ den Status einer formellen Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung durch den Lieferer. Dies hatte in der Praxis die Auswirkung, dass bei Nachweis der übrigen Voraussetzungen – insbesondere der Warenbewegung in den anderen Mitgliedstaat – die Steuerbefreiung nicht aufgrund der unterbliebenen Angabe der USt-IdNr. versagt werden durfte.
Durch die Änderung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) und des nationalen Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die Steuerbefreiung künftig nicht mehr gewährt, wenn die Zusammenfassende Meldung des liefernden Unternehmers unrichtig oder unvollständig ist. Darüber hinaus muss der Abnehmer gegenüber dem Lieferer eine gültige USt-IdNr. verwendet haben. Damit erlangt sowohl die Zusammenfassende Meldung als auch die Angabe der USt-IdNr. des Abnehmers materiell-rechtlichen Charakter.
Konsignationslager
Umsatzsteuerlich ist unter einem Konsignationslager ein (vielfach) beim Kunden (Abnehmer) anzutreffendes Warenlager des Lieferanten zu verstehen, aus dem der Abnehmer bei Bedarf („just in time“) Waren entnehmen kann. Hierbei sind grundsätzlich zwei Formen zu unterscheiden:
- Bei einem Call-off-Stock kann nur ein bestimmter Abnehmer Waren aus dem Lager entnehmen.
- Bei einem Consignment-Stock haben mehrere Abnehmer die Möglichkeit, auf die Ware zurückzugreifen.
Bislang löst die grenzüberschreitende Bestückung des deutschen Konsignationslagers ein – grundsätzlich steuerfreies – innergemeinschaftliches Verbringen im Abgangsland und spiegelbildlich die Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsland aus. Die tatsächliche Entnahme der Waren aus dem Lager führt zu einer inländischen Lieferung. Demnach muss sich der Lieferer im Bestimmungsland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren.
Beachten Sie: Wird die Ware nur für kurze Zeit zwischengelagert und steht der Abnehmer der Ware bei Transportbeginn bereits fest, dann können Unternehmer von einer Vereinfachungsregelung profitieren: Bei Transport der Ware zum Konsignationslager wird eine direkte innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsland und spiegelbildlich ein innergemeinschaftlicher Erwerb durch den Abnehmer angenommen. Die sich daran anschließende Inlandslieferung fällt ebenso wie eine Registrierungspflicht im Bestimmungsland weg.
Diese Vereinfachungsregelung beruht auf zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs aus 2016 und findet regelmäßig nur bei Call-off-Stocks Anwendung. Das Bundesfinanzministerium hat diese Grundsätze übernommen.
Durch die Quick-Fixes kommt es nun zu einer einheitlichen Regelung in der EU. Unter den Voraussetzungen des Art. 17a MwStSystRL erfolgt die innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsmitgliedstaat sowie der innergemeinschaftliche Erwerb erst im Zeitpunkt der Entnahme der Ware. Der Warentransport löst damit kein innergemeinschaftliches Verbringen aus. Eine Registrierungspflicht im Bestimmungsland entfällt. Diese Regelung soll mit der Einfügung des neuen § 6b im UStG in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Voraussetzungen
- Die Gegenstände werden in ein Konsignationslager in einem anderen Mitgliedstaat befördert oder versendet.
- Der Lieferer hat im Bestimmungsmitgliedstaat weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung.
- Der Erwerber muss gegenüber dem Lieferer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte USt-IdNr. verwendet haben. Zudem muss der Erwerber die Lieferung gesondert aufzeichnen und dabei zahlreiche gesetzliche Vorgaben beachten.
- Auch der Lieferer muss den Warentransport in den Bestimmungsmitgliedstaat nach gesetzlichen Vorgaben gesondert aufzeichnen. Die USt-IdNr. des Erwerbers muss er in die Zusammenfassende Meldung aufnehmen.
- Die Gegenstände müssen innerhalb von zwölf Monaten nach Einlagerung vom Abnehmer aus dem Lager entnommen werden.
Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt bzw. wird die Ware nicht innerhalb der Zwölf-Monatsfrist entnommen, ist grundsätzlich weiterhin ein innergemeinschaftliches Verbringen anzunehmen.
Beachten Sie: Wird die Ware jedoch innerhalb von zwölf Monaten zurück in den Abgangsmitgliedstaat transportiert und dieser Rücktransport gesondert aufgezeichnet, entfällt ein innergemeinschaftliches Verbringen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen anstatt des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers ein anderer Unternehmer die Ware innerhalb von zwölf Monaten entnimmt.
Reihengeschäft
Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Folge des Reihengeschäfts ist es, dass die Warenbewegung nur einer der Lieferungen zuzuordnen ist. Nur diese Lieferung kommt in den Genuss der Steuerbefreiung.
Der neue Art. 36a MwStSystRL schafft erstmals eine EU-einheitliche Definition für Reihengeschäfte. Die Zuordnung der Warenbewegung wurde indes nur für die Fälle getroffen, in denen der mittlere Unternehmer (Zwischenhändler) befördert oder versendet. Im Ergebnis entspricht die Regelung der deutschen Vermutungsregelung, nach der die Warenbewegung grundsätzlich der Lieferung an den Zwischenhändler zuzuordnen ist. Damit ist diese Lieferung die bewegte und potenziell steuerbefreite. Abweichend hiervon gilt als bewegte Lieferung die Lieferung des Zwischenhändlers, wenn er mit der USt-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats auftritt.
Nicht ausdrücklich geregelt sind die Fälle, in denen der erste oder der letzte Unternehmer die Gegenstände befördert. Nach dem UStG gilt Folgendes:
- Wird der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen.
- Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen.
Fazit: Die Quick Fixes sind zu begrüßen, da die Vereinheitlichung für Rechtssicherheit sorgt. Allerdings wird der Nutzen, z. B. bei der Neuregelung für Konsignationslager, durch die Aufzeichnungspflichten geschmälert. Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen bedeuten die verschärften Anforderungen Handlungsbedarf für betroffene Unternehmen. In Sachverhaltskonstellationen mit Drittstaaten (z. B. Schweiz) entfalten die Quick Fixes keine Wirkung; insoweit verbleibt es bei den bisher geltenden Regelungen.
Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Referentenentwurf des BMF, Stand: 8.5.2019); BFH-Urteil vom 20.10.2016, Az. V R 31/15; BFH-Urteil vom 16.11.2016, Az. V R 1/16; BMF-Schreiben vom 10.10.2017, Az. III C 3 – S 7103-a/15/10001